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Die Derbyrede von Dr. Stefan Oschmann

Der Derby-Redner Dr. Stefan Oschmann als Besitzer des 2021er-Derbysiegers Sisfahan im Hotel Fontenay. ©galoppfoto - Frank Sorge

Autor: 

Frauke Delius

TurfTimes: 

Ausgabe 726 vom Freitag, 08.07.2022

Nach zwei Corona-Derbys ohne eine solche Veranstaltung gab es zu Ehren der im IDEE 153. Deutschen Derby startenden Pferde am Samstagabend im Hotel Fontenay in Hamburg wieder das traditionsreiche Derby-Dinner. Eingeladen waren die Besitzer der Derby-Starter 2022 und natürlch der Besitzer des Vorjahressiegers, der die Ehre hat, die passende Rede zum Ereignis zu halten. Das war in diesem Jahr Dr. Stefan Oschmann als Besitzer des 2021er-Derbysiegers Sisfahan. Er ist der Sohn aus dem ersten Jahrgang seines ersten Derbysiegers Isfahan, der das Derby 2016 gewonnen hatte. Somit ist das nicht seine erste Derbyrede und der studierte Tiermediziner machte sich vor allem Gedanken über die Pferdezucht und den Pferdekauf: „Wir sollten positiv und selbstbewusst sein im Rennsport. Es ist ein toller Sport, der auch als Produkt eine Zukunft hat.“ Nach dem Dank an sein hocherfolgreiches Team, den Trainer Henk Grewe, den Jockey Andrasch Starke und seinen Racingmanager Holger Faust, berichtete er über sein eigenes System bei der Jährlingsauswahl und hob die Baden-Badener Auktionsgesellschaft eigens hervor: „Kaufen Sie bei der BBAG“, nirgendwo sonst könne man Pferde zu seinem solch guten Preis-/Leistungsverhältnis erwerben wie hier.

Hier ist die Rede komplett nachzulesen. 

Derbyrede 2.7.2022

…langsam bekomme ich etwas Routine bei Derbyreden…kein schlechtes Gefühl. Der Derbysieg 2021 war für mich ganz ein besonderes Ereignis, einerseits weil Sisfahan, ein Sohn unseres Derbysiegers und Deckhengstes Isfahan ist, andererseits weil ich den Derbysieg zusammen mit meinem lieben Freund Michael Motschmann erleben konnte. Geteilte Freude ist eben doppelte Freude.

Zur Vorbereitung auf diese Rede habe ich mir den von Herrn Brauer herausgegeben Band über die Derbyreden angeschaut. Viele von uns wissen, dass die Tradition der deutschen Derbyrede wiederum auf der englischen Grimrack Rede beruht. Diese Rede wurde 1767 zum ersten Mal gehalten. Man sagt nicht wirklich, weil man eine Rede hören wollte, sondern eher aus Höflichkeit, weil Reden bei festlichen Anlässen üblich waren. Und oft ist es auch heute noch so, dass nur der Redner denkt, alle Welt sei an dem interessiert, was er zu sagen habe und die meisten Gäste nur auf den nächsten Gang oder den Kellner, der Wein nachschenkt warten. Man sagt die beste Grimrack Rede sei 1877 vom Earl of Durham gehalten worden. Der Inhalt seiner Rede war primär der Vorwurf an den Senior Steward des Jockey Club ein Betrüger zu sein. Bei der Lektüre des besagten Bandes von Herrn Brauer fiel mir auf, dass in den Derbyreden häufig geschimpft wird über das was früher das Direktorium war, über die Besitzervereinigung, über die Gestüte, über die Rennvereine, über die Buchmacher und über die Politik. Schimpfen möchte ich heute nicht. Manchmal wurde auch der Untergang des Rennsports projiziert, auch damit möchte ich mich nicht befassen.

Ich möchte nur 2 Punkte machen:

  1. Dank denen sagen, denen ich rennsportlich viel zu verdanken habe.
  2. Ein paar Gedanken zur Zucht im 21. Jahrhundert, verbunden mit dem Versuch einer Antwort auf die Frage, die mir oft gestellt wird zu geben: „Wie machen Sie das eigentlich, dass Sie mit relativ niedrigem Aufwand doch ganz nette Erfolge erzielen?“

Der Mensch aus unserem Team, dem ich als erstem danken möchte ist meine Frau! Sie ist durchaus rennsportinteressiert und pferdeverliebt ich glaube aber, dass meine doch sehr starke Passion manchmal sehr nervend sein kann. Sie erträgt das mit großer Eleganz und liebevoller Zuneigung. Meine Frau hatte mich ab und zu gefragt, wie viele Pferde wir eigentlich hätten, meine Antwort darauf war: „einige“, auf Nachfrage dann: „Schatz es ist wahnsinnig spießig, wenn man weiß wie viele Pferde man hat“. Ich habe erst spät herausgefunden, dass meine Frau eifrig die SportWelt liest und über alle unsere Aktivitäten bestens informiert ist. Dir, liebe Shahpar herzlichen Dank für Deine Großzügigkeit!

Dann die  Jockeys, die unsere Pferde reiten, stellvertetend für alle Andrasch Starke den Siegreiter von Sisfahan. Welch großartige Leistung so viele von Ihnen verbringen, welches Geschick, welches Einfühlungsvermögen, welchen Mut und welche Athletik Sie an den Tag legen! Mit 1,90m und etwa 100kg Körpergewicht war es mir versagt Ihre Laufbahn einzuschlagen, deswegen wollte ich Tierarzt werden, aber das ist wiederum eine ganz andere Geschichte…

Ich möchte allen unseren hoch engagierten Trainern dank und hier auch stellvertretend für alle Henk Grewe und seinem Team, dem Trainer von Sisfahan. Die Arbeit der Trainer ist hart und manchmal entbehrungsreich. Die Trainer haben eine hohe Verantwortung. Ich habe hohen Respekt vor ihrer Arbeit. 

Natürlich möchte ich die vielen anderen Partner, die Hufschmiede, Transporteure, Tierärzte und Physiotherapeuten nicht auslassen, auch Ihnen meinen aufrichtigen Dank.

Einer Person möchte ich ganz besonders danken, ohne ihn wäre Darius Racing überhaupt nicht existent und das ist mein Racing Manager, Agent und zwischenzeitlich Freund Holger Faust. Holger Faust hatte mich vor gut 10 Jahren aktiv angesprochen, hatte beobachtet wie ich im Galoppsport anfangs dilettierte und schlug damals die Zusammenarbeit vor. Seit dieser Zeit kamen die Erfolge bei uns. Es hat sich eine schöne Partnerschaft entwickelt. Ich verdanke ihm sehr viel. Auch möchte ich die gute Partnerschaft mit dem Gestüt Karlshof deutlich erwähnen.

 

Nun ein paar Gedanken zur Zucht, zu unserem Ansatz beim Jährlingskauf. Vieles, das den Rennsport und die Vollblutzucht so faszinierend macht, hat mit Traditionen zu tun und ich will auf keinen Fall diese schönen Traditionen hinterfragen. Vieles in unserem Sport hat auch mit persönlicher Erfahrung und einem guten Instinkt zusammen, das was wir vielleicht das „Auge“ nennen. Auch das ist wichtig. Heute Abend sind viele erfolgreiche Züchter anwesend vor deren Leistung ich großen Respekt habe. Ich selbst wende meine Ansichten eher auf die Jährlingsauswahl denn auf die eigentliche Zucht an. Wir haben zwar eine ordentliche Stutenherde aufgebaut, die aber hauptsächlich zur Unterstützung unseres Deckhengstes Isfahan eingesetzt wird.

 

Wie manche von Ihnen wissen, bin ich mit dem Thema Pferd aufgewachsen, da mein Vater Tierarzt war und ich, reiterlich aktiv war. Ich habe dann auch Veterinärmedizin studiert, anfänglich mit dem Ziel Fachtierarzt für Pferde zu werden, habe aber dann während des Studiums festgestellt, dass mich grundlegende wissenschaftliche Aspekte wie Molekularbiologie noch mehr faszinieren als den Beruf des Tierarztes zu praktizieren. Das hat dann auch meinen weiteren beruflichen Werdegang stark beeinflusst. Eine besondere Leidenschaft hatte ich im Fach Tierzucht für die Populationsgenetik, also den Zweig der Genetik, der Vererbung in Populationen untersucht. Die weltweite Vollblutzucht ist zum Beispiel eine solche Population. 

 

Ich muss immer wieder schmunzeln, wenn Experten und Züchter Pedigrees diskutieren und sie dabei von Mutter- oder Stutenlinien sprechen. Manchmal 10 oder mehr Generationen zurückgehend betrachtet, als ob generell gewisse Eigenschaften entlang dieser Linien auf Ewigkeit vererbt würden. Das ist meiner Meinung nach sinnlos, es gibt keine Stutenlinien. Die Illusion einer Stutenlinie wird uns durch die Art und Weise wie Pedigrees präsentiert werden und in Deutschland auch durch die Namensgebungspraxis vorgegaukelt. Meine These ist, dass noch heute vieles in der Vollblutzucht auf adligem Liniendenken basiert und überhaupt nichts mit Biologie zu tun hat. Wir projizieren meiner Meinung noch heute Denken über menschliche Familien und deren Sozialstatus auf unsere geliebten Rennpferde und eine bewusste Abweichung von diesem Denken kann durchaus Erfolge nach sich ziehen. Die britische Kulturanthropologin Rebecca Cassidy hat das in ihrem lesenswerten Buch „The Sport of Kings“ eindrücklich beschrieben. Noch im 17. Jahrhundert nahm man an, dass Rennleistung und Geschwindigkeit beim Pferd fast ausschließlich von der Umwelt abhängen, zum Beispiel davon, ob die importierten orientalischen Vaterpferde wirklich in der Wüste aufgewachsen seien. Erst später setzte sich durch, dass die Vererbung eine gewisse Rolle spielt. Auch hatte man so ungefähr um 1800 erkannt, dass das weitere Einkreuzen von orientalischen Hengsten keinen Fortschritt mehr brachte und hat das Zuchtbuch geschlossen und damit das geschaffen was wir heute als Vollblut kennen. Das General Studbook wurde 1793 von James Weatherby eingeführt, interessanterweise 46 Jahre bevor es in England ein allgemeines Verzeichnis von Geburten und Todesfällen beim Menschen gab und nur 30 Jahre nachdem der „Gotha“ für menschliche Adelsabstammung eingeführt worden war. Die erste Version eines Stutbuchs wurde aber schon vorher von William Sidney Towers eingeführt, gar nicht mit der Absicht eine reine Vollblutrasse zu schaffen oder zu erhalten, sondern um Betrug bei Rennen zu verhindern.

 

Als ich vor circa 20 Jahren in den Galoppsport eingestiegen bin, wollte ich als wissenschaftlich orientierter Mensch unbedingt herausfinden welche Literatur es zur Vollblutzucht historisch und aktuell gibt. Ich habe fast alles was es da in Buchform gibt, erworben und gelesen. Meine Freunde kennen mein Zimmer mit der Vollblutbibliothek. Als Anfänger geht man mit großem Enthusiasmus daran und ich habe vieles mit großer Verve studiert. Natürlich habe ich meinen Tesio von vorne nach hinten und wieder zurückgelesen. Mein Eindruck: sehr esoterisch. Zufall und Glück wird wohl eher seine grandiosen Erfolge erklären. Dann Dosage und Varola und vieles andere, das anfangs faktenbasiert erschien. Bei genauerem Studium erwies sich das aber auch als so reell wie Wünschelrutengehen.

 

Ich habe mir dann meine eigenen Gedanken gemacht. Meiner Meinung nach ist die Anwendung von populationsgenetischen Konzepten auf die Vollblutzucht von nur sehr begrenztem Wert. Es gibt Einiges an Diskussion darüber, ob die Zuchtwertschätzung auch beim Vollblut eingeführt werden sollte. Ich glaube nicht, dass dies einen Vorteil brächte. Dafür sind unsere Populationen zu klein und unsere Leistungsprüfungen zu wenig standardisiert. Wir ermitteln die Leistung unserer Pferde in Rennen, die stark von Umweltfaktoren und von Renntaktik beeinflusst werden.

 

Sie werden sich wahrscheinlich langsam fragen was denn, nachdem Ihr Redner des heutigen Abends definiert hat was nicht funktioniert nun nach seiner Meinung valide ist bei Zuchtentscheidungen und bei Jährlingskäufen. Ich werde versuchen das – ohne alle unsere Geheimnisse zu verraten – transparent darzustellen. 

 

  1. Ein interessantes und unterschätztes  Prinzip ist das der Heterosis. Der Heterosis-Effekt bezeichnet in der Genetik, die besonders ausgeprägte Leistungsfähigkeit von Hybriden, beispielsweise von Nachkommen zweier deutlich verschiedener  Ausgangspopulationen. In der Vollblutzuchtzucht kommt dem am nächsten der sogenannte „Nick“. So zum Beispiel Danzig auf Mr. Prospector oder King Kamehameha auf Sunday Silence. Oder der Einfluss von Monsun in der ersten Generation und In The Wings über Soldier Hollow und Adlerflug besonders auf oft staminabetonte deutsche Stuten. Meine Bescheidenheit verbietet mir zu erwähnen, dass ich glaube der Nick Isfahan auf Kendargent wird auch bald dazu gehören.  Diese Effekte treten eben nicht in Linien auf, sondern sind meist nur für eine Generation wichtig. Wir haben auf der Basis von kommerziell erhältlichen Datenbanken und Systemen unsere eigenen Analyse-Tools entwickelt und legen großen Wert darauf.
  2. Einerseits wird die sogenannte Heritabilität also Erblichkeit von im Vollblut wichtigen Größen wie Gewinnsumme oder Endgeschwindigkeit mit 0,1 bis 0,3 angegeben. Wieso also all der Fokus auf Zucht, wenn nur ein anscheinend geringer Teil der Leistung vom Erbgut abhängt? Ein wirklich guter Trainer kann ein Pferd mit hohem Potential voll entwickeln aber nicht mehr als das. Ein weniger guter Trainer wird den Dubawi aus einer von Galileo abstammenden Gruppe 1 Siegerin nicht optimieren können. Interessant ist auch, dass die Heritabilität der idealen Distanz mit über 0,6 also über 60% angegeben wird also sehr stark genetisch beeinflusst wird. Wieviel Zeit wird in Diskussionen zwischen Trainer, Jockey und Besitzer verschwendet, wenn man das doch sehr verlässlich genetisch bestimmen kann. Ein meiner Meinung nach wichtiger Punkt ist der der weiterhin steigenden Inzucht in der Vollblutzucht. Eine Studie hat vor kurzem gezeigt, dass für jede 10%, die die Inzucht ansteigt, die Wahrscheinlichkeit, dass an Pferd nie laufen wird um 48% steigt. Besonders groß sei der Effekt in der amerikanischen Vollblutzucht.
  3. Mein dritter und fast letzter Punkt, auch mit Hinblick auf das Timing der Nachspeise ist, dass, wir bei der Zucht – und Auktionsauswahl oft wichtige Faktoren vernachlässigen. Konformation, Exterieur,und Gänge sind von großer Bedeutung, Meiner Meinung nach wird zu viel Wert auf kleine Exterieurabweichungen gelegt. Rebecca Cassidy nennt das sogar Phänotyp- oder Konformations-Fetischismus. Was dagegen allgemein unterschätzt wird ist wie wichtig Pferde-Psychologie für die Leistungsfähigkeit unserer Schützlinge ist. Neueste Forschung über sogenannte Biomarker zeigt, dass genetische Faktoren, die das Verhalten unserer Pferde beeinflussen von entscheidender Bedeutung für Rennerfolge sind. Dabei scheint es einerseits um Angstverhalten wie auch um den Willen vorne zu sein geht also um Dominanzverhalten. Wir haben auf der Basis der Arbeit eines amerikanischen Beraters und Pferdepsychologen eine Methode entwickelt, um Jährlinge oder Breeze-Up Kandidaten mit ganz einfachen Mitteln psychologisch zu evaluieren, die uns viel geholfen hat.
  4. Wenn wir also gesunde, widerstands- und leistungsfähige Fohlen mit der richtigen Psychologie züchten wollen, sollten wir uns einerseits auf die über Jahrhunderte überlieferte Erfahrung der Züchter, genauso aber auch auf die Wissenschaft verlassen. Nun mein allerletzter Ratschlag: kaufen Sie hauptsächlich bei der BBAG. Nirgendwo auf der Welt gibt es für derart moderate Preise solche qualitätvollen Pferde zu kaufen wie in Baden-Baden. Die deutsche Vollblutzucht mit Ihrem Fokus auf Stamina ist klein aber fein und genetisch diverser als viele andere. Es werden mit großer Sicherheit vermehrt Hengste und Stuten international gebraucht werden, die einen Outcross von den häufigsten Mustern darstellen. Die deutsche Vollblutzucht bietet dafür beste Voraussetzungen.

 

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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