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Enable vor dem "Arc" - ein Portrait

Wiederholungsträger: Enable und Frankie Dettori bei ihrem 2. Arc-Sieg, jetzt könnte das historische Triple gelingen. www.galoppfoto.de - Frank Sorge

Autor: 

Catrin Nack

TurfTimes: 

Ausgabe 588 vom Freitag, 04.10.2019

Die Spannung steigt, und manchmal scheint sie fast mit den Händen greifbar. Erst zum zweiten Mal in der langen Geschichte des Prix de l'Arc de Triomphe – 1920 wurde das Rennen zum ersten Mal ausgetragen - hat ein Pferd die Chance, das Rennen zum dritten Mal, und zum dritten Mal in Folge, zu gewinnen. Hier das komplette Startfeld im 98. Prix de l'Arc de Triomphe: Klick! Historisch. Einmalig. Auch die letzte Doppel-Siegerin des Rennens war eine Stute, Treve; sie war im Jahr 2015 das erste Pferd überhaupt, welches versuchte, einen dritten "Arc" in Angriff zu nehmen. Hinter Golden Horn reichte es dann für die von Criquette Head trainierte Motivator-Tochter seinerzeit nur für einen vierten Platz.

Nun also Enable, die Königin von Newmarket, Liebling der Rennsport-Fans weltweit. Enable, inzwischen fünfjährig, bei bisher 14 Starts dreizehnfache Siegerin, seit zwölf Rennen ungeschlagen, zehnfache Gruppe I-Siegerin. Zweifache klassische Siegerin. Selbstredend eine der Großverdienerinnen des Sports: alleine 5.714.000 Euro hat sie bei ihren beiden Siegen in Frankreich verdient, mehr als 9 Millionen sind es insgesamt.

Abgeküsst: Frankie Dettori und seine Queen Enable ... www.galoppfoto.de - John James ClarkAbgeküsst: Frankie Dettori und seine Queen Enable ... www.galoppfoto.de - John James ClarkDoch Enable ist mehr als Zahlen und schnöde Fakten. Jedem Star haftet eine Aura an, das ist bei Pferden nicht anders. Pferde, die Besonderes leisten, steigen im Ansehen; wir beginnen, sie mit anderen Augen zu sehen. Wie bei zweibeinigen Athleten braucht es mehr als Können und Talent, auf mentale Stärke kommt es an. Vierbeinige Superstars haben dieses gewisse Etwas, das sie abhebt von der Masse: Kampfgeist, Charakter, Einsatzwillen; auch wenn man Gefahr läuft, zu stark zu vermenschlichen. Pferderennen werden im Kopf gewonnen, das weiß ein jeder Trainer; und auch das Team um Enable: "Der Boss [John Gosden] hat es schon so viele Male gesagt", erklärte Assistent Barry O`Dowd kürzlich der Racing Post, "sie möchte einfach rausgehen, trainieren, Rennen laufen und gewinnen. Sie hat diese Einstellung, dass es das ist, warum sie auf die Welt gekommen ist. All diese Rennen zu gewinnen ist unglaublich, und immer wieder abzuliefern zeigt, wie einsatzfreudig sie ist. Und das allerbeste ist, dass sie es alles von ganz alleine macht." 

Auch Trainer John Gosden bewundert den Charakter der Stute sehr, ihr Arbeitseifer ist legendär. „Wenn sie nicht mit dem ersten Lot rauskommt, gräbt sie ihre Box um", lächelt Gosden und macht klar, dass sich Enable auch ohne Worte zu artikulieren weiß. "Sie hat diese wunderbare Persönlichkeit, nimmt alles um sich herum wahr, ihre Ohren sind immer gespitzt."

Als Liebling einer echten Rennsportnation ist eine ausgeprägte Berichterstattung im Countdown zum Super-Rennen natürlich Ehrensache. Täglich gibt die englische Fachpresse „Wasserstandsmeldungen“, die Racing Post ist auf „Enable Watch“. Beinahe stündlich Berichte und Neuigkeiten; ihre Rennen, ihre Form, ihre Chancen werden von allen Seiten beleuchtet. Neben der Racing Post sind diverse Marketing-Seiten des britischen Rennsports aktiv, die Botschaft von Enables historischem Rennen in die (virtuelle) Welt zu tragen.

Auch France Galop lässt sich da nicht lumpen. Sicher etwas zähneknirschend - Enable ist und bleibt eine „Ausländerin“ – doch wie oft kann man ein solches Rennen bewerben? Den „Enable-Supporter Pack“ (Schal, Jute-Beutel, wiederverwendbare Tasse) kann man seit einiger Zeit einzeln oder zusammen mit den Tickets bestellen; zeitweilig war das Paket bereits ausverkauft. Führende Persönlichkeiten des französischen Rennsports geben sich bereits international: Sowohl Criquette Head als auch Star-Jockey Olivier Peslier haben sich als Enable-Fans geoutet; „wenn ich nicht gewinnen kann, dann soll es bitte Enable tun.“

Enables Schritte werden mit Argusaugen beobachten. Als eine der tragenden Säulen der Trainergilde Newmarkets war Gosden trotz dieser intensiven Tage kein Spielverderber: am vorletzten Wochenende durfte Enable mit weiteren Stars aus dem Stall im Rahmen des Newmarket Open Day einen öffentlichen Galopp absolvieren. Vor Hunderten von Zuschauern, die die einmalige Trainingsanlage rund um den Warren Hill in langen Schlangen belagerten, galoppierte die Stute – mit gespitzten Ohren natürlich – den Hügel hinauf. Am Mittwoch vergangenen Woche dann eine ernsthafte Arbeit auf der Rennbahn Rowley Mile von Newmarket. Einer Rennbahn, auf der Enable – dies eine kleine Kuriosität am Rande – noch kein einziges Rennen bestritten hat, obwohl ihre Box nicht einmal einen Kilometer Luftlinie entfernt liegt. „Sie ist so gut drauf“ stöhnt Assistent O`Dowd, „so gut, dass ich wünschte, dass Rennen wäre schon heute.“ Am Montag dieser Woche hat sie ihre letzte ernsthafte Arbeit absolviert. Unter Frankie Dettori, der sich nur für spezielle Gelegenheiten außerhalb der Rennen in Sattel der Stute schwingt, hat sie ihren ständigen Sparringpartner Crossed Baton, seines Zeichens immerhin Listensieger und Gruppe3-platziert, kurzerhand stehen lassen. „Sie ist in beängstigend guter Form. Nun müssen wir sie bis Sonntag bei Laune halten“

Alles muss passen im Vorfeld eines Rennens, und wieviel mehr muss es erst passen, wenn es ein Rennen von solchem Prestige, solch einer Bedeutung ist; auch ohne das Extra-Gewicht des möglichen historischen Trebles? Dabei gibt es bereits ein Pferd, welches – durchaus auch historisch - dreimal die genau gleiche Platzierung im Arc erlief. Doch es war eben „nur“ der zweite Platz, auf den sich der eisenharte Youmzain drei Jahre in Folge (von 2007-2009) raufte. Da war er vier- bis sechsjährig. Enable ist die bisher achte Doppelsiegerin des Arc; als nun Fünfjährige spricht die Statistik nochmals gegen sie. Nur sieben Pferden gelang es in diesem Alter, den Arc zu gewinnen, darunter mit Motrico und Corrida gleich zweien der Doppelsieger. John Gosden sieht es allerdings als Vorteil:“ Ich war schon immer der Meinung, dass der Vollblüter erst mit fünf Jahren seine volle Leistungsstärke erreicht hat. Sie [Pferde allgemein] verändern sich noch so stark.“

Auch Enable hat sich weiterentwickelt, vor allem mental. „Sie stürmt nun nicht mehr wild drauflos und gewinnt mit riesigem Vorsprung. Ich bin sicher, dass Pferde beginnen, zu verstehen, was in Rennen von ihnen verlangt wird; und sie setzt ihre Kraft nun gezielter ein.“ So Gosden in einem ausführlichen Interview für den britischen Rennsportkanal At the Races. Kaum ein Trainer, der das Training von Pferden auch intellektuell stärker seziert als Gosden; ein Mann, den manch ein Journalist gar gerne als Premierminister des Landes sehen würde (das Brexit-Chaos lässt grüßen). Und über den sein amerikanischer Trainingskollege Dick Mandella sagte: “ Was ich überhaupt nicht verstehen kann, ist, dass er bei seiner Intelligenz sich überhaupt damit abgeben hat, Trainer zu werden. Warum ist er nicht etwas wirklich wichtiges geworden?“

Die vierbeinige Queen unterwegs: Enable auf dem Weg zur Trainingsbahn in Newmarket. www.galoppfoto.de - Jimmy ClarkDie vierbeinige Queen unterwegs: Enable auf dem Weg zur Trainingsbahn in Newmarket. www.galoppfoto.de - Jimmy ClarkNatürlich ist er etwas „Wichtiges“ geworden, namentlich einer der erfolgreichsten Trainer Englands, Europas, der Welt. Vielleicht nicht in der absoluten Quantität der Siege, ganz sicher aber in der Qualität.  Zusammen mit dem wohlmöglich besten Jockey der Welt, Frankie Dettori, bildet er seit Jahren ein formidables, in diesem Jahr schier un-stoppbares Team. „Wir können die ewigen Siege Gosden-Dettori kaum noch ertragen“ bekennt Kerry Jones, seit über dreißig Jahre ein wichtiges Glied am Stall von Sir Michael Stoute. Den Einfluss, den Enable auf Touristen hat, beobachtet sie beinahe täglich. „Wir fragen die Leute, die frühmorgens an den Galopps stehen, ob sie denn wegen Enable gekommen sind. Die meisten können gar nicht glauben, dass es möglich wäre, sie hier zu sehen. Wo sollte sie denn sonst arbeiten?“ zuckt Jones lachend mit den Schultern.  Wo sonst wenn nicht auf der „Heath“ von Newmarket, den großen Weiten der einmaligen Trainingslandschaft; und wer ist schafft, sich zu um  6 Uhr morgens aus den Federn zu quälen, wird mit etwas Glück mit dem Anblick der Wunderstute belohnt. Man muss sie nur erkennen, ein Namenschild trägt sie natürlich nicht. Zusammen mit ihrem ständiger Arbeitsreiter Imran Shawani, inzwischen selber eine Art Berühmtheit, ist sie für erfahrene Trainingsbeobachter aber leicht auszumachen. Shawanis Rolle im „Team Enable“ ist keineswegs zu unterschätzen. Neben der täglichen Arbeit, dem Reiten, der Pflege ist er es auch, der Enable zu allen Rennen begleitet, „ich bin so glücklich und stolz, mit ihr zu tun zu haben. Sie weiß, dass sie ein Star ist. Und sie hat mein Haus bezahlt. Dafür hat sie auch drei Küsse bekommen.“

In zwei Tagen, an diesem ersten Sonntag im Oktober, wird er Enable gegen vier Uhr Ortszeit auf das Geläuf der Rennbahn ParisLongchamp führen. Seine Arbeit ist dann getan, auch der Trainer kann nun nichts mehr ausrichten. Alles Hoffen, Bangen, alle Erwartungen, Träume, liegen dann auf dem Rücken eines schmalen Jockeys, der im goldenen Herbst seiner einzigartigen Karriere eine weitere, kaum vorstellbare Höhe erklimmen könnte, und einer braunen Stute, die sich alldem auf ihre ganz eigene Art bewußt sein könnte. Sie weiß nicht, dass sie Geschichte schreiben soll, aber sie wird wissen, dass es auf sie ankommt. Ihre Fans und Bewunderer werden hoffen, dass diese außergewöhnliche Rennstute es noch einmal allen zeigen kann.

Catrin Nack

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