"Das Pferd gab mir 600 Meter vor dem Ziel das Gefühl, ich könnte fliegen"

Es war zwanzig Minuten nach dem Sieg von Ivanhowe im Longines Großen Preis von Baden (Gr. I, beim Klick auf den Renntitel gibt es alle Infos inkl. Videos und Fotos), als Jockey Filip Minarik in den Führring lief, das nächste Rennen stand an, er hatte zu reiten. Nur sein Pferd war noch da, die anderen waren bereits Richtung Start unterwegs. Rund 200Turffans standen noch um das Rund und brachen genau in dem Moment in heftigen Beifall aus. Diese Szene illustriert, wie populär der Sieg des Jockeys im wichtigsten Grand-Prix der Saison in Deutschland war, auch wenn das Gros der Zuschauer ihr Geld auf Sea The Moon gesetzt hatte.

Es hatte zuvor einen gewaltigen Hype um den Derbysieger gegeben. Unzählige Gerüchte schwirrten seit Wochen durch die sozialen Medien, aber trotz aller Bedenken erschien Gestüt Görlsdorfs Crack pünktlich im Führring, drehte gelassen wie immer seine Runden, sah wie gewohnt fabelhaft aus. Die Order war klar: Wenn keiner geht, gehst Du und genau das tat dann auch Cristian Demuro bei seinem ersten Ritt auf Sea The Moon. Und genau das tat er nach Meinung von Trainer Markus Klug dann zu wenig. „Er hätte mehr gehen müssen“, meinte er später, „das Rennen war relativ langsam, da muss man mehr Tempo machen.“ Bis weit in die Zielgeraden sah es aber gut aus,

Sea The Moon hatte einen Gegner nach dem anderen abgeschüttelt, aber einen konnte er dann doch nicht mehr halten. Ganz außen, unmittelbar an der Zuschauerseite setzte Filip Minarik Ivanhowe ein und der rollte dann problemlos an Sea The Moon vorbei – der bislang größte Erfolg von Trainer Jean-Pierre Carvalho, seit Beginn des Jahres Trainer auf der privaten Trainingsanlage der Familie Ullmann in Bergheim bei  Köln. Die Karriere von Ivanhowe glich bislang einer ziemlichen Achterbahnfahrt. Letztes Jahr war er Favorit im Deutschen Derby, blieb aber als Sechster deutlich unter seiner Bestform – mit Cristian Demuro im Sattel – und ward dann lange Zeit nicht mehr auf der Rennbahn gesehen. Im Frühjahr ging es mit dem Erfolg im Gerling-Preis gut los, doch dann wurde er beim Beschlagen „vernagelt“, es gab ein Hufproblem, eine längere Pause war angesagt.  „Es ist ein Klassepferd“, sagte Carvalho, „aber ich wusste nicht so genau, wo wir stehen. Eigentlich dachte ich, dass wir noch zwei, drei Wochen Zeit benötigen.“

Der Start des Pferdes war wohl auch kurzfristig in Frage gestellt.  Nach dem schlechten Abschneiden der Carvalho-Schützlinge am Samstag soll es Überlegungen gegeben haben, auch auf Grund des abgetrockneten Geläufs nicht zu laufen – Besitzer Georg von Ullmann war sogar schon abgereist, für ihn nahm Schlenderhans General Manager Gebhard Apelt die Ehrenpreise entgegen. Voreinigen Wochen hatte man sich von Stalljockey Adrie de Vries getrennt, Filip Minarik nahm seinen Posten ein. „Vor zehn Tagen habe ich Ivanhowe überhaupt zum ersten  Mal im Training geritten, ein absoluter Star“, freute sich der Mann, der im Winter wegen eines Burnouts mehrere Monate pausiert hatte. Es war sein dritter Sieg im „Grand Prix“ von Baden, für das Gestüt Schlenderhan ging sogar  eine noch längere Durststrecke zu Ende – Alpenkönigs Sieg 1970 mit Fritz Drechsler haben nur noch wenige gestern Anwesende erlebt. Jetzt werden sich Ivanhowe und Sea the Moon wohl im Prix de l‘Arc de Triomphe am ersten Oktober-Sonntag wiedertreffen.

Einige Anmerkungen zu den Platzierten: Hans-Gerd Wernicke, Besitzer des Drittplatzierten Night Wish fuhr als „glücklicher Mensch“ nach Hause, Trainer Andreas Löwe wohl eher nicht. Sirius wurde nur Fünfter, „vielleicht ist das im Moment alles zu viel für ihn“, kommentierte Jockey Stephen Hellyn, Lucky Lion war schon vor dem Rennen total aufgedreht. Für die Sieger blieb aber auch keine Zeit zum Feiern. „Ich fahre jetzt nach Hause, ich muss morgen arbeiten“, verkündete Jean-Pierre Carvalho.