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Das Traumpferd aus dem Gestüt Riepegrund

Nach dem Triumph von Meran: Kazzio unter Cevin Chan. www.galoppfotode - Petr Guth

Autor: 

Catrin Nack

TurfTimes: 

Ausgabe 389 vom Donnerstag, 15.10.2015

Ehre, wem Ehre gebührt. Eine Abschiedsparty, um über den Winter auf der Koppel auszuspannen, erhält schließlich nicht jedes Pferd, aber der braune Wallach Kazzio ist wohl doch kein Pferd wie alle anderen. Sicher, er ist braun, hat eine große Blesse, und kommt auch sonst recht bodenständig daher - aber seine Leistungen auf der Rennbahn, und speziell im hierzulande so sträflich unterschätzten Hindernis-Metier, heben den 2008 geborenen Königstiger-Sohn doch deutlich aus der Masse hervor. Den Paukenschlag und vorläufigen Höhepunkt seiner Laufbahn setzte der Wallach Ende September, als er im italienischen Meran den Gran Premio (Gr. I, 5000m) nach starkem Endkampf sicher gewann und seinem Team damit neben einem großen Zahltag vor allem einen sportlich enorm bedeutenden Treffer bescherte.

Riepe ist ein beschaulicher Ort in der Lüneburger Heide; nahe Soltau gelegen, ist es eher eine Ansammlung von Häusern entlang der Hauptstraße. Hier züchtet der Gynäkologe Dr. Hans-Joachim Wiesner in seinem Gestüt Riepegrund seit 1997 Vollblüter; Auslöser und Ansporn waren die Zuchterfolge des Berufskollegen und Freundes Dr. Burmester, der von seiner kleinen Scholle gar nicht weit weg direkt einen Derby-Sieger züchtete, "das wollte ich auch", so Wiesner. Mit vier Zuchtstuten ist man zur Zeit aktiv, und wenn es zu einem Klassiker auch noch nicht gereicht hat, so sind gute Erfolge doch nicht fremd, vor allem aus der treuen Bergwelt kam so manches mehr als nützliche Pferd mit ansprechendem GAG, wie z.B. die erste selbstgezogene Gruppe-Siegerin Best Walking. Immer wieder geht Wiesner, sowohl beim Züchten als auch als Besitzer, Partnerschaften ein; Kazzio sollte sich zum Paradebeispiel entwickeln, doch es war ein steiniger Weg, und der Erfolg – irgendein Erfolg – war lange nur ein vager Traum.

Als Fohlen im Gestüt Riepegrund: Kazzio mit seiner Mutter Kalata. Foto: John-James ClarkAls Fohlen im Gestüt Riepegrund: Kazzio mit seiner Mutter Kalata. Foto: John-James ClarkSchon seit Jahren werden alle Jährlinge des Gestüts in Iffezheim zum Verkauf angeboten; man scheut sich jedoch nicht vor Reservepreisen und musste daher schon manch einen Youngster wieder mit nach Hause bringen. So auch den schlaksigen Jung-Hengst Kazzio, den Wiesner zusammen mit Knut Kaufmann, einem befreundeten Lehrer, aus der Lando-Tochter Kalata gezüchtet hatte. Zu mangelndem Interesse im Ring kam dann weiteres Pech, als Kazzio, nach der Auktion freihändig verkauft, bereits nach einigen Wochen zurück war in Riepegrund, dem Vernehmen nach verletzt. Wiesner biss in den sauren Apfel, gab Kazzio Zeit, eine Grundausbildung in einem Reitstall und dann ins Training zu Pavel Vovcenko. Weitere Verwirrungen und ein verunglücktes Pferd führten dann zu der Partnerschaft mit Bernd Huckschlag vom Stall Seseke;  so gab Kazzio auch ein kurzes Gastspiel im Stall von Dr. Andreas Bolte, der erneut eine Verletzung zu erkennen glaubte.

Trotz dieses turbulenten Starts ins aktive Rennpferde-Leben kam Kazzio dann aber schon 2jährig an den Start und zeigte als Dritter gar keine schlechte Leistung. Agl. III-Format hat er auf der Flachen, doch dann schien die Form dort rückläufig und nicht besonders aussichtsreich, so dass man sich Ende 2012 entschied, es über die Hürden zu versuchen. „Er hatte schon beim Einreiten im Reitstall, der auf Springreiten spezialisiert war, viel Talent gezeigt, daran habe ich mich erinnert.“ so Wiesner.   

Auch wenn der erste Start im französischen Nancy mit Platz sechs ein etwas ernüchternder Einstand war, ging es in 2013 munter weiter. Und der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte. Der zweite Platz in der Badenia zu Mannheim war ein Bomben-Ergebnis, und seitdem geht es Schlag auf Schlag. In Deutschland längst ohne ernsthafte Gegner und hierzulande über Hindernisse seitdem ungeschlagen, ist Kazzio auch im Ausland bei einigen unvermeidlichen Niederlagen kein Zacken aus der Krone gefallen. Es scheint, als hätte der Wallach die letzten Jahre zum Heranreifen benötigt; sicher ist, dass er 2015 besser denn je war. Unter seinem nunmehr ständigen Piloten Cevin Chan entwickelte sich Kazzio im heißen Sommer diesen Jahres nicht nur zu einem veritablen Seepferd - er erschwamm Siege in Hamburg und Bad Harzburg - er zeigte auch bei zwei Auftritten im Ausland - Straßburg und Waregem - als Zweitplatzierter hervorragende Form, vor allem im belgischen Waregem wurde der Wallach in seinem ersten 100.000er auf dem engen Kringel-Kurs kurz vor Schluss deutlich behindert, rennentscheidend, da ist sich wohl nicht nur Trainer Pavel Vovcenko sicher.

Dann die Reise nach Meran, eine Bahn, die Pferd und Reiter von vorherigen Besuchen nun wie die eigenen Westentasche kannten, ein nicht unerheblicher Vorteil bei diesem anspruchsvollen Kurs. Der irische Champion-Trainer Willie Mullins, der neben der im Ruhestand befindlichen Hürden-Legende Hurricane Fly (der als italienisch gezogener Wallach quasi zu seinem Wurzeln zurückkehrte) vor allem Star-Jockey Ruby Walsh im Gepäck hatte, musste dies auf besonders bittere Art und Weise lernen:  seine zwei Starter des Meetings wurden Letzter bzw. kamen zu Fall; hier wurde wahrhaft teures Lehrgeld bezahlt. Aber nicht so Team Vovcenko:  frohen Mutes und durchaus hoffnungsvoll war man erneut in den Kurort gereist. Nicht vor Ort waren leider die Besitzer, die die Minuten, die zum größten Erfolg der Gestüts-Geschichte führen sollten, auf dem Smartphone-Bildschirm eines Bekannten verfolgen mussten. Dank dieses Wunders der Technik war es zwar nur ein sehr kleiner Kazzio, dessen blaue Kappe ("Die wollte mein Partner, unsere Kappe ist ja normalerweise auch gelb") sich kaum sichtbar lange im Hintertreffen aufhielt; Cevin Chan hatte bereits kurz nach dem Start einen Steigbügel verloren, so dass der Rennverlauf sich sozusagen von selbst ergab. Doch nichts war wirklich verloren, und so sah man besagte Kappe immer besser ins Bild kommen - wortwörtlich im Rennen und im übertragenden Sinne auf dem Handy, und trotz des beinahe zeitgleich stattfindenden Listen-Rennens in Hannover konnte Zuschauer auf bestimmten Teilen der Tribüne nur einen Pferdenamen hören, so lautstark wurde Kazzio hier angefeuert.

Dem unbeschreiblichen Jubel nach dem vollen Triumph folgte sogleich die Sorge um den vierbeinigen Athleten; noch auf der Tribüne wurde der Winterurlaub beschlossen, "nun hat er aber wirklich genug fürs Jahr." Und auch wenn es heisst, dass alles im Leben seinen Preis hat, so scheint dies nicht für Kazzio zu gelten:  diverse sechsstellige Angebote waren bereits vor dem Meraner Erfolg ablehnt worden, und man plant nicht, schwach zu werden. Hier leben passionierte Besitzer den Traum ihres Lebens, und das ist schließlich unbezahlbar.

Am kommenden Sonntag nun wird in Bremen der Sieg gefeiert, man möchte sich dabei vor allem beim Betreuer-Team und Jockey Chan bedanken. Es wird eine Kazzio-Trophy mit einem speziell von Dr. Wiesner ausgelobten Kazzio-Bonus geben, da ist es nur rechtens, dass sich auch der Wallach selber ein Stelldichein gibt, um sich seinen hoffentlich zahlreichen Fans zu präsentieren.  Pläne und Ideen für 2016 hat man viele, und zum Träumen - nach einem solchen Traumjahr - kommt so ein Winter doch gerade recht. 

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